Starke Frauen Tansanias
Ein Herz für zwei Leben – Die Geschichte der Legina Chaungu
In der Region Iringa, im Herzen Tansanias, lebt eine Frau, deren Geschichte exemplarisch steht für die stille Stärke unzähliger Frauen des Landes. Legina Chaungu, heute 62 Jahre alt, ist keine prominente Aktivistin, keine Politikerin und keine Akademikerin – sie ist das, was viele Frauen in Tansania sind: die tragende Säule der Gesellschaft. Ihre Geschichte beginnt an einem gewöhnlichen Morgen auf dem Weg zu ihrem kleinen Feld – und wird zu einem eindrucksvollen Zeugnis von Mitmenschlichkeit, Mut und unerschütterlicher Fürsorge.
An diesem Tag sah Legina eine Frau am Straßenrand im Gras liegen – eine gebrechliche, geistig verwirrte Frau, die gerade dabei war, Zwillinge zur Welt zu bringen. Legina zögerte keinen Moment. Sie half bei der Geburt, organisierte ein Taxi und brachte Mutter und Kinder ins Krankenhaus. Doch was als spontaner Akt der Hilfe begann, wurde zu einer lebenslangen Verantwortung: Die Mutter der Kinder verschwand noch am selben Abend aus dem Krankenhaus. Wenige Wochen später verstarb sie in einer psychiatrischen Klinik. Die Zwillinge – Getrude und Germina – blieben zurück. Ohne Herkunft, ohne Namen, ohne Zukunft.
Legina hätte die Augen verschließen können. Sie hätte sagen können, dass es nicht ihre Verantwortung sei. Doch sie tat das Gegenteil. Sie blieb bei den Neugeborenen im Krankenhaus, beantragte offiziell ihre Adoption, kämpfte sich durch Behördenwege und nahm die beiden Mädchen als ihre eigenen Kinder auf. In einer Gesellschaft, in der patriarchale Strukturen oft den Ton angeben, übernahm eine verwitwete Frau ohne Schulbildung die Rolle der Beschützerin, der Mutter, der Zukunftsbringerin.
Seit 28 Jahren lebt Legina als Witwe. Ihr Einkommen ist spärlich. Sie betreibt kleinbäuerliche Landwirtschaft und handelt mit kleinen Mengen Fleisch, um den Alltag zu bewältigen. Lesen und schreiben kann sie nicht – doch sie hat etwas viel Wertvolleres verstanden: dass Bildung der einzige Weg aus der Armut ist. Obwohl sie kaum weiß, wie sie die Schulgebühren für die Zwillinge aufbringen soll, kämpft sie unermüdlich dafür, dass Getrude und Germina zur Schule gehen können. Als das Stipendienprogramm von SCHULBANK e.V. Hilfe anbot, war sie überglücklich – nicht, weil es eine Entlastung war, sondern weil sie wusste: Das ist der Schlüssel für die Zukunft ihrer Töchter.
Leginas Geschichte steht sinnbildlich für die soziale Haltung vieler Menschen in Tansania. Solidarität ist keine leere Worthülse, sondern gelebte Praxis. Wenn Kinder am Rand der Gesellschaft stehen, ausgestoßen, vergessen – dann gibt es Frauen wie Legina, die sie aufnehmen, lieben, großziehen. Ohne staatliche Unterstützung, ohne Sicherheit, ohne Rückversicherung. Es ist dieser Mut, diese stille Aufopferung, die die wahre Stärke Tansanias zeigt. Nicht das Elend, nicht die Armut, sondern der Wille, füreinander einzustehen – auch wenn man selbst kaum etwas besitzt.
In Getrude und Germina wächst eine neue Generation heran, die ihren Weg gehen wird – dank der Entschlossenheit einer Frau, die nie zur Schule ging, aber mehr über das Leben verstanden hat als viele andere.